In der fünften Postwurfsendung hatten wir uns einmal mehr den Hintergründen der haarigen Angelegenheit gewidmet und uns auf Spurensuche literarischer Inspirationen begeben. Darum sollen diesmal wieder die Aktualitäten der Manuskriptüberarbeitung im Zentrum stehen. Und die gestalten sich momentan alles andere als fluffig für unsere Autorin.
Es wäre wahrscheinlich alles einfacher, wenn der Nachfolger der haarigen Angelegenheit schon einen Namen hätte. Abgesehen vom Arbeitstitel, den das Manuskript freilich hat und der es mit viel Glück vielleicht sogar einmal zum Buchtitel schaffen wird. Doch ein Spitzname wie „Ziegel“ wäre sicherlich hilfreich. Am passendsten wäre derzeit wohl „Ärgernis“, aber das klingt dann gleich wieder so negativ. „Ziegel No. 2“ ist nicht individuell genug. Und „Backstein“ wenig kreativ. „Konvolut“ fände ich ganz hübsch. Oder „Akt“ im Sinne von Akte, das würde nämlich zum Setting der Geschichte passen.
Wie dem auch sei, im Grunde will ich mit dem ganzen Geplänkel nur vom Sachstand der Überarbeitung ablenken, denn dieser gestaltet sich derzeit folgendermaßen:
Rund 50.000 Worte, genauer die Kapitel 1-14, waren nun also in den letzten Wochen zur Begutachtung im Lektorat. Und sind dort wie erwartet nicht nur auf ungeteiltes Wohlwollen gestoßen. Denn die Schwierigkeiten, die sich bereits bei der Leseprobe und dem Plotentwurf gezeigt haben (siehe auch Postwurfsendung No. 4) haben sich inzwischen bestätigt. So wird der geneigte Leser einerseits aus dem unseligen Helden nicht schlau, andererseits tappt er in der Fülle der Figuren und Handlungsstränge bisweilen im Dunkeln, weil zum Verständnis wichtige Informationen und Details leider nicht auf dem Blatt stehen, sondern nur durch mein Hirn geistern.
Weshalb das Lektorat einige ketzerische Fragen in den Raum warf, die ich allerdings als gar nicht so ketzerisch empfand, denn die ketzerischste von allen war gar nicht aufgetaucht. Weshalb ich sie dann gezwungenermaßen selbst in den Ring geworfen habe. Die da lautet: Haben wir die richtige Hauptfigur?
Wenn wir nämlich auf die Historie der Geschichte blicken, dann wollte ich die Geschichte ursprünglich um die weibliche Figur herum schreiben. Die wurde aber im Laufe der Zeit von unserem unseligen Helden in den Hintergrund gedrängt.
Warum das passiert ist? Unter anderem auch deshalb, weil ich im Sinne der Weiterbildung und des lebenslangen Lernens ein Buch über den Aufbau von Geschichten studiert hatte. Das mir die Idee (oder eher das scheinbar eherne Gesetz) eingepflanzt hatte, dass der Protagonist diejenige Figur zu sein hat, die die größte innere Wandlung durchmacht. Das Buch über das Schreiben heißt ironischerweise Story Genius und ich bin mir gerade alles andere als sicher, ob es wirklich so genius von mir war, mich davon wohl aufs Glatteis locken zu lassen. Denn unser unseliger Held ist ein Wechselbalg, von komplexer Herkunft, voller Wankelmut und unklarer Motivation, er wirkt darum „schwer von Kapee“ (O-Ton – aber nicht von mir, denn ich bin nicht so höflich) und der Leser hat ernstliche Schwierigkeiten nachzuvollziehen, warum er tut, was er tut.
Ganz im Gegensatz zur Dame im Hintergrund. Deren Ziele sind nämlich unmissverständlich und einleuchtend, sie handelt dementsprechend und ich habe in den letzten paar Wochen gelernt, dass die Überwindung von Selbstzweifeln in der wundersamen Welt des Geschichtenschreibens durchaus als formidable innere Wandlung durchgeht. Topsuper.
Der April ist darum mit Schaubildern, Karteikarten, Schmierzetteln und Haare raufen dahin gegangen. Es wurden neue Steckbriefe zu den Figuren geschrieben, innere und äußere Konflikte ausgehandelt, Loglines gefrickelt und Notizbücher gewälzt.
Dazwischen tat dann noch der Rechner (verständlicherweise) seinen letzten Schnaufer und brachte mich in die herrliche Situation bei 6% Akku rasch wenigstens einen Teil der Daten in die digitale Wolke zu retten.
Und der Mai wird aller Voraussicht nach nicht besser werden. Nicht nur da die zerrissenen Stücke und losen Enden und implodierten Szenen des Plots neu geknüpft werden müssen (ein Glück, dass die beiden missratenen Galgenstricke bereits gemeinsam durch eine Vielzahl der vorhandenen Kapitel stolpern), sondern weil es nach wie vor unklar ist, wer denn nun eigentlich der unselige Held oder die unselige Heldin der Geschichte ist. Denn die Steckbriefe, Loglines und Schaubilder haben schlussendlich dazu geführt, dass auch unser Wechselbalg mehr Struktur gewonnen hat und die Sache mit der Hauptfigur wohl doch noch keine ausgemachte Sache ist.
Zurück ans Reißbrett lautet das Gebot der Stunde.
Sie ahnen es an dieser Stelle vermutlich: Hier sitze ich also mit meiner Butschari, die Überarbeitung wird (wieder) eine zähe Sache und Sie werden aller Voraussicht nach noch diverse Postwurfsendungen ähnlicher Art, voller Heulen und Zähneklappern, erhalten, ehe tatsächlich ein fertiger Roman am Ende steht. Denn bislang habe ich mich noch nicht mit der Schönheit textbasierter künstlicher Intelligenz auseinandergesetzt, die das Prozedere eventuell beschleunigen könnte. Wobei ich gerade kurz davor bin. Immerhin bin ich nach dem ganzen Hin und Her derart ausgelaugt und wirr in der Birne, dass ich den ganzen Akt zusammen mit dem kaputten Rechner am liebsten aus dem Fenster werfen würde.
(Ja, ich glaube, wir haben in den Zeilen dieser etwas deprimierten Postwurfsendung wenigstens einen Namen für das Werk gefunden. Nun kann es wohl nur noch aufwärts gehen. Hurra!)
Um nicht mit einer vollkommen destruktiven Note zu enden, sei an dieser Stelle ein Wort erwähnt, das (zumindest derzeit noch mit seinem Subplot) im Akt zu finden ist und ich Ihnen keinesfalls vorenthalten möchte. Vielleicht müssen Sie ja demnächst einmal Galgenmännchen spielen. Es lautet: Schnupftabaksdosendiebstahl.
Damit entlasse ich Sie mit einer Weisheit aus der Wundertüte der Weltliteratur:
Meine Schwägerin hat keine eigenen Gedanken. Sie hat Führungskraft.
(Barbara Trapido, Der wandernde Waldhornist)
Postskriptum
Zuletzt an alle zur freundlichen Erinnerung:
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