In der ersten Depesche aus Xarelien haben wir uns mit dem Hintergrund des virtuellen Reiseführers beschäftigt und wie es überhaupt dazu kam, dass unsere geschätzte Autorin jene ehrenvolle Aufgabe übernommen hat.
Heute werden wir eine Institution des kulturellen Lebens im Freien Königreich Xarelien kennenlernen – die obendrein nicht ganz unbeteiligt an der Idee der Depeschen gewesen ist.
Weil man ja bekanntlich immer irgendwo beginnen muss und ein Anfang so gut wie jeder andere ist, stellen wir nun in der zweiten Depesche aus dem Freien Königreich Xarelien das bereits erwähnte Verlagshaus Hasslt vor.
Dieses wurde 1743 von Dejan und Radan Hasslt gegründet, nachdem die zweieiigen Zwillingsbrüder von ihrer obligatorischen Grand Tour aus Italien zurückgekehrt waren. Wo sie zuvor nicht nur unter zweifelhaften Umständen (die vielleicht einmal Gegenstand einer anderen Depesche sein werden) ihres Tutors verlustig gegangen waren, sondern wo ihnen auch eine Schraubenpresse in die Hände gefallen war, die sie einer Eingebung folgend auf abenteuerlichem Wege in ihre Heimat überführten. Eben jene Schraubenpresse brachte mit ca. dreihundertjähriger Verspätung den Buchdruck nach Xarelien. Und legte nebenbei den Grundstein für das heute nach wie vor blühende und von Viktor Hasslt nunmehr in elfter Generation geführte Verlagshaus.
Der Erfolg der Hasslts und ihrer Schraubenpresse war überwältigend. Zunächst einmal wurden dank eines königlichen Dekrets sämtliche Gesetzbücher Xareliens gedruckt und an die öffentlichen Stellen ausgegeben. Man druckte Flugblätter und Bekanntmachungen, die Gebrüder Gorny sammelten die Volksmärchen und Sagen der Gegend und gaben diese in dreizehn Bänden heraus und schon bald klopften mit ungeordneten Manuskripten unter den Armen, erste schriftstellerisch ambitionierte Xarelier an die Türe der Hasslts. Mit dem Roman Der unsichtbare Balkon von Pierre Louis Bauer erschien 1790 das erste literarische Werk Xareliens, 1799 mit Pflicht und Verwunderung der Pfarrerstochter Janika Albin das zweite. Beide Bücher befinden sich in 35. bzw. 43. Auflage im Druck und sind bis heute Pflichtschullektüre. Ebenfalls nach wie vor erhältlich ist das breite und überaus erbauliche Oeuvre von Frau Geheimrätin Henriette von Küfenstein (1801-1891), das zunächst im Ahornpavillon in Fortsetzungen publiziert wurde, wobei hier dem noch unkundigen Leser insbesondere ihr bekanntester Entwicklungsoman Die dicke Nixe ans Herz gelegt sei.
Die Schraubenpresse aus Italien konnte also den Bedarf an Gedrucktem bereits um 1800 kaum mehr bewältigen. Und spätestens als Ranko Hasslt, der Enkel Radin Hasslts, auf Drängen seiner Gattin Ida (einer passionierten Zeitungsleserin, die zu ihrem Verdruss und in Ermangelung einer eigenständigen Xarelischen Tagespresse auf die Druckwerke des Auslands zurückgreifen und diese abonnieren musste) im Jahre 1817 den Xarelischen Wolkenlüpfer gründete und gleich darauf 1818 das illustrierte Familien- und Wochenblatt Der Ahornpavillon einführte, zog dies nicht nur die Anschaffung einer größeren Presse nach sich, sondern auch einen Neubau des gesamten Verlagshauses.
Das heutige Verlagshaus wurde 1820 erbaut. Der Neubau wurde notwendig, da sich die von der Firma Hulesch & Quenzel Ltd. gelieferte Schnelldruckmaschine als zu groß (und zu schwer) für das bisherige Verlagsgebäude und dessen Kellergewölbe entpuppte.
„Mein lieber Ranko, diese dicke Lotte wird niemals durch das Tor gehen. Hast du beim Ausmessen geschielt?“, soll Ida Hasslt beim Anblick der neuen Schnelldruckmaschine gerufen haben. Wobei dem Verleger hier keine Schuld zugesprochen werden darf. Denn wie viele andere Kunden von Hulesch & Quenzel Ltd. aus eigener peinvoller Erfahrung wissen, stimmen Angaben aus deren Katalogen zumeist gar nicht oder allzu sehr mit der gelieferten Wirklichkeit überein.
Folglich hätte man eine der Außenwände des alten Gebäudes einreißen müssen und da der rasch hinzugezogene Architekt die Statik des Gebäudes als nicht länger gewährleistet einschätzte, entschied sich Albin Hasslt kurzerhand für den Neubau. Und zwar justament an jener Stelle, wo die Lieferanten von Hulesch & Quenzel Ltd. die neue Schnelldruckmaschine abgestellt und aufgebaut hatten und wo sie bereits etwa eine Handbreit im Boden eingesackt war.
Erbaut aus dem typischen xarelischen rosa Buntsandstein des königlichen Steinbruchs Thalhurn, gehört das Verlagshaus Hasslt heute zu den imposantesten Gebäuden Magubias und prägte den Stil der Xarelischen Neugotik entscheidend mit. Weshalb es zu den bedeutenden architektonischen Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt des Freien Königreichs zählt. Grund hierfür ist auch die kleine Grünanlage, die nach barocken Vorbildern angelegt das Gebäude einfasst und bei schönem Wetter der Erholung der Belegschaft während der Mittags- und Kaffeepausen dient, aber auch von Zeitungslesern und Kunden der Verlagsbuchhandlung sowie den Angestellten der umliegenden Geschäfte und Bureaus gerne genutzt wird.
Im Gebäude untergebracht sind neben den Redaktionsstuben des Xarelischen Wolkenlüpfers und des Ahornpavillons, die Bureaus der beiden Lektorinnen, Verwaltung, Vertrieb und Reklameabteilung des Verlagshauses, die Buchbinderei für die verlagseigenen Bücher sowie das Archiv der bisher erschienen Zeitungsausgaben und das Versandlager.
In der angeschlossenen und gut sortierten Verlagsbuchhandlung im Erdgeschoss, die in jeder Generation unter dem Kuratel der unverheirateten altjüngferlichen Familienmitglieder steht, können sämtliche Druckerzeugnisse der Hasslts aber auch ausgesuchte Romane und Sachbücher aus dem Ausland käuflich erworben werden.
Darüber hinaus dient das markante Gebäude nicht nur der Verlegerfamilie als Wohnhaus, sondern es stehen auch zwei Wohnungen für die Familien des Hausmeisters und des Mechanikers der Dicken Lotte zur Verfügung. Die Einstellung des letzteren wurde bereits um 1900 zur Pflege und Instandhaltung der Dicken Lotte notwendig. Nach wie vor gehen sämtliche Druckerzeugnisse auf jener Schnelldruckmaschine vom Band. Deren Mucken sind über die Jahre hinweg nicht weniger geworden, doch denkt bislang niemand im Verlagshaus an eine Neuanschaffung, obgleich die Dicke Lotte Quelle von so mancher Peinigung ist. Sei es durch lose Schrauben und Zahnräder, die bisweilen Geschossen gleich durch den Raum fliegen, oder durch umher spritzende Tinte.
Auf eine letzte Skurrilität sei an dieser Stelle noch verwiesen, ehe wir die zweite Depesche aus Xarelien schließen: Eine der erstaunlichsten Erfindungen des Verlagshauses Hasslt war die tragbare Druckermaschine von Malva Hasslt, die 1892 vom Xarelischen Patentamt patentiert wurde und auch als ein Vorläufer des Faxgeräts gesehen werden kann. Denn verbunden mit einer Telegraphenleitung sollte das kompakte technische Wunderwerk dazu dienen Briefe und andere Schriftstücke zu übermitteln.
Allerdings stellte sich rasch heraus, dass zur Beförderung von Malva Hasslts Erfindung mindestens vier Personen, besser jedoch ein Ochsenkarren benötigt wurde. Und die telegraphierten Briefe erreichten zumeist mit gänzlich durcheinander gewürfelten Worten ihre Empfänger oder gerieten gleich gar in die falschen Hände.
Weshalb Malva Hasslt das Patent ihrer Erfindung 1895 ausgerechnet an Hulesch & Quenzel Ltd. weiterverkaufte, die die Tragbare Druckpresse bis 1937 in ihrem Katalog zum Verkauf anboten und den vorhandenen Beschwerdebriefen wütender Kunden nach zu urteilen mindestens neunundzwanzig Mal verkauften.
Noch heute steht der Prototyp der tragbaren Druckermaschine auf dem Bürgerlichen Gesetzbuch Xareliens, dem ersten Druckerzeugnis des Hauses, im Eingangsbereich des Verlagshauses Hasselt. Viktor Hasselt legt der Familientradition folgend auf dem Weg in sein Bureau jeden Tag Blumen dort ab. Bevorzugt Flieder und Wisteria, die Lieblingsblumen Malva Hasslts.
Und damit endet die zweite Depesche aus dem Freien Königreich Xarelien. In der dritten werden wir uns voraussichtlich berühmten xarelischen Kunstwerken zuwenden. Wenn Sie diese lesen möchten, dann klicken Sie bitte hier.
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