Wie in der letzten Postwurfsendung angekündigt, landet heute (ein wenig später als von der Autorin geplant) die erste Depesche aus dem Freien Königreich Xarelien in Ihrem elektronischen Briefkasten. In dieser sollen – ehe wir richtig einsteigen – kurz die Hintergründe dieses virtuellen Reiseführers dargelegt werden.
Und ja, wir brechen nun mit der bisherigen strengen Freitagslieferung der Postwurfsendungen!
Dass Sie überhaupt Depeschen aus dem Freien Königreich Xarelien erhalten, jenem winzigen, im Alten Europa gelegenem und nur ausgesuchten Kennern bekanntem Land, ist dem Umstand geschuldet, dass die dortigen Kassen wie überall eher klamm sind und die ehrenvollen Aufgaben einer Steueroase bereits von anderen sympathischen Kleinstaaten ähnlicher Größe aufs Vortrefflichste besorgt werden. Darum kam es geradezu wohlgelegen, als der Xarelische Rechnungshof vor einer Weile feststellen musste, dass sich seit der Gründung des Amts für Kultur und Fremdenverkehr in den 1950er Jahren nur wenige tausend Touristen in das Freie Königreich verirrt hatten. Verirrt im wahrsten Sinne des Wortes nämlich, denn nicht wenige jener Übernachtungsgäste waren bei Nebel falsch abgebogen oder im Schneefall von der Straße abgekommen.
Kurz: Sie waren lediglich aus Versehen im Freien Königreich Xarelien gelandet. Und zumeist am nächsten Tag sogleich eilig wieder abgereist, um an ihre eigentliche Destination zu gelangen. Nach Rimini etwa oder St. Moritz.
Dabei gäbe es in Xarelien eine Fülle an Sehenswürdigkeiten für den kulturell interessierten Besucher zu entdecken und zu bestaunen. Auch für den kulturell uninteressierten, denn die Xarelische Küche ist ebenfalls recht ausgezeichnet und nicht zu verachten. Und es gibt außerdem ein paar hübsche Seen und Berge, um die Seele baumeln zu lassen. Von der fabelhaften Flora und Fauna ganz zu schweigen.
Um nun also die Wissenslücken zu schließen, um Xarelien in das Licht der allgemeinen freundlichen Aufmerksamkeit zu rücken und aus dem touristischen Dornröschenschlaf zu erwecken, hat das Amt für Kultur und Fremdenverkehr per königlichem Dekret von Johann Anton IV den Auftrag erhalten, das Freie Königreich über seine Grenzen hinaus bekannt zu machen und Reisende aus aller Welt anzulocken.
Nun war den vortrefflichen Beamten des Amts für Kultur und Fremdenverkehr bald bewusst geworden – nachdem sie beinahe zwei Jahre über die Ausgestaltung dieser schier unlösbaren Aufgabe nachgesonnen und beim Verlagshaus Hasslt zunächst und als ersten Schritt den Druck eines Reiseführers beauftragt hatten –, dass eben jener Reiseführer auch mit Inhalt gefüllt werden musste. Dies war zuvor bei der Vergabe des Auftrags tatsächlich nicht bedacht worden. Weshalb sich das Verlagshaus Hasslt (sobald man sich dort jenes Versäumnisses gewahr geworden war) bei einem späten Glas Cognac vertraulich an den Inhaber des Grandhotels Unter den Tannen, das bislang ein eher beklagenswertes Dasein gefristet hatte, wandte und jene wackeren Geschäftsmänner in einer konzertierten Aktion beschlossen, die Schreibarbeit für den Reiseführer eigenständig in fremde Hände auszulagern. Und zwar in wirklich fremde Hände.
Nicht nur, weil man den Blick von außen auf das Freie Königreich Xarelien für besonders wertvoll hielt. Sondern vor allem auch deshalb, da man in Xarelien dank der ausländischen Presse und einigen Röhrenbildschirmen zwar durchaus von jener wundersamen Erfindung des elektronischen Weltweiten Netzes weiß, das Parlament und das Königshaus sich aber bislang noch zu keiner Entscheidung hatten durchringen können, ob die Einführung desselben tatsächlich zweckdienlich und überhaupt geboten sei. Xarelien befindet sich also im sprichwörtlichen Funkloch. Zu Zwecken der Kommunikation wird telegraphiert, man verfasst Briefe oder nutzt analoge (oftmals öffentliche) Fernsprechapparate. Mechanische Schreibmaschinen verrichten in den Büros ihren Dienst, der anderswo schon seit längerem von Computern übernommen wird. Selbst die Einführung von Faxgeräten wurde versäumt – was aus der historischen Perspektive heraus vielleicht sogar ein lässlicher Verzug ist.
Dennoch war den wackeren Geschäftsmännern klar, wollte man Leser und etwaige Besucher von draußen erreichen und herbeilocken, dann genügt nicht ein buntbedruckter Reiseführer, sondern es müssen darüber hinaus sämtliche Möglichkeiten des virtuellen Neulands genutzt werden. Das Verlagshaus Hasslt brachte also auf eigene Faust seine ausländischen Kontakte ins Spiel und begab sich auf die Suche nach einer verzweifelten Seele, die man für das Abfassen eines Reiseführers einspannen konnte und die obendrein in der Lage war, dieses wundersame Weltweite Netz zu benutzen. Und dabei nicht viel kostete. Vor allem nicht viel kostete. Lange brauchte man nicht zu suchen, bis man fündig wurde, schließlich besteht die schreibende Zunft praktisch ausschließlich aus verzweifelten Seelen.
Unsere geschätzte Autorin war denn auch leicht zu überzeugen und schlichtweg billig zu haben. Für die Aussicht auf lebenslange freie Kost und Logie im Grandhotel Unter den Tannen für Forschungszwecke vor Ort und späterem Alterssitz sowie wegen der vertraglich zugesicherten Abnahme von mindestens 500 Exemplaren ihres einzigen Romans durch die Verlagsbuchhandlung Hasslt und der beiden anderen Buchhändler des Landes hat sie ohne lange zu überlegen die ehrenvolle Aufgabe übernommen, mittels unregelmäßig erscheinender Depeschen das Freie Königreich Xarelien und alles Staunenswerte darinnen in den Weiten des Weltweiten Netzes vorzustellen.
Und weil für die klamme königliche Staatskasse durch diese Übereinkunft keine weiteren Kosten entstanden, war auch das Amt für Kultur und Fremdenverkehr im Nachhinein damit einverstanden.
Dies war also die erste Depesche aus dem Freien Königreich Xarelien. Ich hoffe, Sie fanden sie zumindest ein wenig amüsant und ahnen, welch Unsinn Sie fürderhin an dieser Stelle erwartet. Die weiteren Depeschen werden in loser Folge und Länge folgen. Die zweite Depesche finden Sie etwa hier.
Die nächste reguläre Postwurfsendung, in der wir erneut einen Blick hinter die Kulissen der haarigen Angelegenheit werfen werden, erreicht Sie wie gewohnt am ersten Freitag des kommenden Monats. Das ist schon recht bald und dann bereits im April. Kreisch.