Ostern ist die Zeit der Überraschungen und weil vermutlich alle schon genug Schokolade bekommen haben, legt die Kaps der werten Leserschaft ein Überraschungsei ins Osternest. Und zwar einen kleinen Einblick in den Schinken, den sie momentan so fleißig putzt und aufhübscht. Die kleine Geschichte hat bislang noch niemand zu lesen bekommen. Weshalb es auch gut möglich ist, dass im fertigen Buch alles mal ganz anders ausschaut.
Wie Silberzunge der schönen Auraë eine Feder stahl
Untenstehende Sage wurde im Zuge des Forschungsprojekts »Kobolde, Wichtel und Zwerge – kleinwüchsige Kreaturen des Alten Volkes im Klingengebirge und anderswo« (geleitet von Theobald Mulzer und Emilia Wildanger) während einer Befragung der Zwergin 1 XV 49 dokumentiert. Die folkloristische Forschung ordnet sie der Klasse der Trickser-Sagen zu, deren Protagonisten zumeist Gestaltwandler und Wechselbälger sind. Bekannteste Vertreter der Trickser sind Silberzunge und der Fuchs.
Da es sich um eine Überlieferung der Zwerge handelt, bildet die Sage eine entsprechend negative Sicht auf die Alben ab, wobei insbesondere deren Eitelkeit und Hochmut und die damit einhergehende Kurzsichtigkeit thematisiert werden.
Fithian, der Erl vom Eichenhorst, war, da er sehr mächtig war, auch sehr stolz. Und als er sich eine Kone nehmen wollte, da setzte er sich in den Kopf, dass nur die Schönste aller Saligen seiner würdig sei. Unter den Saligen aber galt Auraë, Ilsevels Tochter, als die Allerschönste. Schöner noch als die Libuše oder die Lorelei, ja selbst die Morgenröte erblasste vor ihr. Wegen ihrer Schönheit war Auraë jedoch noch stolzer als der Erl vom Eichenhorst und darum rümpfte sie die Nase, als Fithians Bote ihr eine Brosche aus geschnitztem Eichenholz als Brautgeschenk überreichte.
»Nur dann erhält der Erl vom Eichenhorst meine Hand, wenn er mir einen Umhang aus den Federn aller Blauhäher des Spechtswalds bringt«, sprach sie, weil sie es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, jedem ihrer zahlreichen Freier eine unlösbare Aufgabe zu stellen.
Der Erl vom Eichenhorst wusste nicht, wie er den Wunsch der schönen Auraë erfüllen konnte und da auch sein Zwillingsbruder, der stets bedächtigere Filarion, keinen Rat wusste, wandte sich Fithian in seiner Not an Silberzunge.
»Was gebt Ihr mir, oh Erl, wenn die schöne Auraë einwilligt, Eure Kone zu werden?«, fragte dieser listig.
Fithian überlegte lange. Schließlich wusste er um die Gefahren, die in einem Handel mit Silberzunge lauerten, und als er schließlich sprach, wählte er seine Worte mit Bedacht: »An meiner Tafel soll immer ein freier Platz für dich sein.«
Silberzunge, der sich nichts sehnlicher wünschte als einen Platz an der Tafel eines Albenhofs, willigte sogleich in den Handel ein.
Filarion tadelte den Erl darob, schließlich erwuchs aus einem Handel mit Silberzunge niemals etwas Gutes, doch Fithian zuckte lediglich die Schultern. »Bald schon wird die schönste aller Saligen meine Kone sein. Lass uns über ein würdiges Hochzeitsgeschenk für meine Braut nachsinnen und nicht über Silberzunge.«
Silberzunge war derweil tief in den Spechtswald gelaufen und hatte sich an einem Bach niedergelassen. Dort sang er so liebliche Weisen, dass alle Vögel herbeiflogen, um ihm zu lauschen. Es kamen auch die Blauhäher, und Silberzunge begann, ihre Schönheit in vielerlei Worten zu preisen. Und da die Häher mindestens ebenso stolz wie der Erl vom Eichenhorst waren, schmeichelten die Lieder Silberzunges sie sehr. Der sang ihnen nun von der Anmut Auraës, die selbst die Morgenröte beschämte, und wie viel größer ihre Herrlichkeit und wie beträchtlich der Ruhm der Blauhäher wäre, trüge die schönste aller Saligen einen Umhang aus ihren Federn.
Da wurden die Blauhäher still und flogen davon. Silberzunge lächelte. Am nächsten Tag kam er wieder an dieselbe Stelle am Bach und sang von der Schönheit Auraës und der Blauhäher. Nicht lange und die eitlen Vögel ließen sich auf den Ästen der umliegenden Bäume nieder. Dies wiederholte sich einige Tage und zuletzt fragten die Blauhäher: »Was soll uns im Winter wärmen, wenn wir dir unsere Federn für die schöne Auraë geben?«
»Ich werde euch neue machen«, antwortete Silberzunge und hob ein braunes Eichenblatt des letzten Herbstes vom Boden auf und verwandelte es in eine Feder.
Die Blauhäher krächzten empört und flogen davon. Doch am nächsten Tag kamen sie zurück, um Silberzunges Liedern zuzuhören.
»Wir schenken dir unsere Federn, damit du einen Umhang für die schöne Auraë aus ihnen webst«, sagten sie eines Tages, und weil sie Silberzunge nicht trauten und fürchteten, mit seinen Federn aus Eichelblättern nicht mehr fliegen zu können, fügten sie hinzu, »doch unsere Flügelschwingen werden wir behalten.«
Silberzunge war einverstanden mit dem Handel und die Häher gaben ihm also ihre blauen Federn und erhielten im Tausch von ihm ein braunes Kleid. Und während Silberzunge den Umhang aus ihren blauen Federn wob, flogen die Häher klagend über den Wipfeln des Spechtswalds dahin.
Als Silberzunge den Umhang Fithian überreichte, sagte er: »Vergesst nicht, was Ihr mir versprochen habt. An Eurer Tafel soll stets ein Platz für mich sein.«
»Sei unbesorgt, das werde ich nicht«, erwiderte der Erl, während er die herrliche Arbeit Silberzunges bewunderte.
Auf seinem schnellsten Hirsch ritt Fithian zu Auraë und als er ihr das geforderte Geschenk über die Schultern legte, wunderte sie sich sehr, wie es ihm gelungen war, ihre Bedingung zu erfüllen. Bezaubert von der Pracht der Häherfedern und weil sie nun einmal ihr Wort gegeben hatte, willigte sie ein, Fithians Kone zu werden.
Der Erl vom Eichenhorst verneigte sich tief vor seiner künftigen Braut und sprach: »Meine Tafel soll in Zukunft die deine sein, schöne Auraë.«
Die Hochzeit wurde nach kurzer Frist gefeiert. Nie hatte es ein größeres Fest am Eichenhorst gegeben. Aus nah und fern kamen die edelsten der Alben zusammen, um mit dem Erl seine Vermählung zu feiern.
Obgleich er nicht eingeladen war, kam auch Silberzunge zur Hochzeit des Erls vom Eichenhorst. Und als er sah, dass an der Tafel kein freier Platz für ihn war, trat er vor das Brautpaar hin, erinnerte den Erl an ihren Handel und forderte seinen Platz an der Tafel ein.
»Ganz recht, ich versprach dir, dass an meiner Tafel stets ein freier Platz für dich sei.« Fithian lächelte. »Doch gehört mir die Tafel nicht länger. Ich habe sie meiner Kone zum Geschenk gemacht und es ist an ihr zu entscheiden, wer einen Platz dort findet.«
Auraë, die um die Tücke Silberzunges wusste und sich nicht an das Versprechen Fithians gebunden fühlte, verweigerte Silberzunge sogleich den Platz an ihrer Tafel.
»Aber ich bin es gewesen, der die Blauhäher überredet hat, ihre Federn zu geben. Ich habe den Umhang gewoben, den Fithian Euch geschenkt hat und den Ihr nun tragt«, rief Silberzunge, als einige Saligen ihn packten und aus der Halle schleiften. Sein Schimpfen half ihm nichts. Die Gäste lachten Silberzunge aus und beglückwünschten den Erl zu seiner List.
Damit weckten die Saligen Silberzunges Zorn. Der mochte den Bruch seines Handels mit dem Erl vom Eichenhorst nicht hinnehmen und sann auf Rache.
Nun war Silberzunge ein Wechselbalg und vermochte es, seine Gestalt zu wandeln, wie es ihm beliebte. So schlüpfte er eines Abends in Fithians Gestalt in die Gemächer von dessen Kone, küsste ihre edlen Lippen und legte sich zu ihr. Die schöne Auraë schlief noch, als sich Silberzunge im Morgengrauen davonstahl und eine Feder ihres Umhangs mit sich nahm.
Es vergingen einige Jahre, der Erl und seine Kone lebten glücklich, als ein Skalde an den Hof kam und nach alter Sitte freundlich an der Tafel empfangen wurde. Als der Erl ihn bat, eine Geschichte zu erzählen, zog der Skalde lächelnd eine blaue Häherfeder aus seinem Umhang.
»Wollt Ihr hören, wie Eure Kone bei mir lag und ich ihr nicht allein diese Feder stahl?«
Der Erl erkannte, dass an der Feder derselbe Zauber wie an Auraës Umhang aus Häherfedern haftete, und er ahnte, wer in der Gestalt des Skalden vor ihm stand. Fithian rief Auraë herbei und fragte diese vor dem versammelten Hof, ob sie bei dem Skalden gelegen sei. Da die schöne Auraë wie alle Alben nicht lügen konnte und Silberzunge nicht erkannt hatte, als er in der Gestalt Fithians zu ihr gekommen war, verneinte sie die Anschuldigungen gekränkt.
»Ihr alle habt vernommen, dass die Treue meiner Kone ohne Tadel ist«, sprach der Erl vom Eichenhorst, obgleich er die Wahrheit kannte, und wandte sich dann an an den Skalden. »Spinn deine Lügen woanders, Silberzunge, und kehre niemals wieder an meinen Hof zurück.«
So wurde Silberzunge ein zweites Mal mit Schimpf und Schande vom Eichenhorst gejagt. Und da es ihm nicht gelungen war, einen Keil zwischen den Erl und seine Kone zu treiben, verfluchte er den Hof und alles und jeden, der darinnen war.
Allerdings erfüllte sich Silberzunges Fluch, wie das so oft bei den Flüchen desAlten Volkes der Fall ist, erst viele Jahrhunderte später, als die Dheamhan den Eichenhorst angriffen und den Hof vernichteten. Fast alle der Saligen wurden getötet. Fithian starb einen grausamen Tod, seine Kone verlor ihren Namen und ihre Schönheit und trauert bis heute um ihn.
Aus:
Theobald Mulzer, Handbuch sämtlicher Kreaturen, Erscheinungsformen und Sagengestalten des Alten Volkes nebst ihren Sitten und Gebräuchen. Zusammengetragen aus Überlieferungen des Alten Volkes, den aktuellen Stand der Folkloristischen Forschung und Magischen Abstammungslehre widerspiegelnd. Mit umfangreichem Apparat aus kommentierten Sagen im Anhang.
Und damit verabschiedet sich die Kaps wieder an den Schreibtisch, damit es bald mehr zu lesen gibt. Frohe Ostern!